ArtikelWas heißt hier prim?
VerfasserHelmut Richter
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Was heißt hier prim?

Ausgehend von der Frage, ob die Eins eine Primzahl ist, verlieren wir uns in die Frage, wie denn eine Primzahl sinnvoll zu definieren sei.

Die Frage wird immer wieder gestellt, warum die Eins keine Primzahl ist.

Die einfachste Antwort darauf ist: „Das ist eben nun mal so definiert.“ Diese Antwort ist nicht so dumm, wie sie aussieht. Es gibt gute Gründe, die Eins mit zu den Primzahlen zu rechnen (schließlich kann man sie nicht in richtige Teiler zerlegen) und bis tief ins Ende des 19. Jahrhunderts findet man Lehrbücher, in denen selbstverständlich die Eins als Primzahl betrachtet wird. Es gibt aber auch gute Gründe, die Eins nicht unter die Primzahlen aufzunehmen; die sind der Inhalt dieses Artikels. Inzwischen haben sich die Mathematiker weltweit dazu entschlossen, den Begriff „Primzahl“ nicht jedesmal neu zu definieren, sondern sich ein für allemal auf eine Definition zu einigen, und nach der ist nun mal die Eins keine Primzahl. Dass sie eine Wahl getroffen haben, ist auf jeden Fall ein Glück, wenn man sich die witz- und trostlosen Diskussionen darüber ansieht, ob 0 eine natürliche Zahl ist (diese Frage wird nämlich im Gegensatz zur Primzahleigenschaft von 1 immer noch verschieden beantwortet). Ob sie die beste Wahl getroffen haben, mag der Leser nach diesem Artikel entscheiden.

Die dümmste Antwort ist: „die Eins ist keine Primzahl, weil sie nur einen Teiler hat, und eine Primzahl ist doch dadurch definiert, dass sie genau zwei Teiler hat.“ Diese Antwort ist dumm, obwohl sie richtig ist. Es ist nicht einzusehen, was an einer Zahl besonders sein soll, die genau zwei Teiler hat, und, wie wir noch sehen werden, ist diese Definition kaum auf andere Situationen verallgemeinerbar.

Sie stimmt nämlich gerade mal für die natürlichen Zahlen. Wir könnten uns nun etwa dafür interessieren, welche ganzen Zahlen, also einschließlich der negativen, Primzahlen sind. Ist z.B. -5 eine Primzahl? Irgendwie schon. Muss man natürlich definieren, warum. Die Definition mit den zwei Teilern ist kaum zu retten: bei den ganzen Zahlen sind die Primzahlen die mit vier Teilern (z.B. 5 hat die Teiler -5, -1, 1, 5), in wieder anderen Mengen haben die Primelemente vielleicht unendlich viele Teiler.

Die -5 hat zwei Eigenschaften, die die 6 nicht hat:

Wir müssen jetzt die Begriffe „unzerlegbar“ und „prim“ so definieren, dass sie für die ganzen Zahlen das ausdrücken, was wir meinen. Irgendwie haben wir immer noch das Bild vor Augen, dass wir so etwas wie eine „Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung“ haben wollen, obwohl das schon bei den ganzen Zahlen nicht mehr wahr ist: 15 = 5·3 = (-5)·(-3). Aber es ist fast wahr, weil es auf die -1 eigentlich nicht ankommt. Und auf welche Zahlen kommt es nicht an? Das überlegen wir uns in ein paar Minuten.

Vorher denken wir darüber nach, welche die Primzahlen unter den rationalen Zahlen sind. Ist 5 dort eine Primzahl? Man kann sie beliebig in zwei Teiler zerlegen, z.B. 7/15 und 75/7, und was ist mit der Teilbarkeit der beiden Teiler? Wir merken, schon der Begriff „Teilbarkeit“ ist Quatsch: jede Zahl ist durch jede außer 0 teilbar. Und das liegt daran, dass jede Zahl x ein multiplikatives Inverses y mit x·y = y·x = 1 hat. Und wenn ich a in b und c zerlegen kann und x hat das multiplikative Inverse y, hätte ich a auch in b·x und c·y zerlegen können. Aha: die Zahlen mit den multiplikativen Inversen machen uns die schöne Definition der Primzahlen kaputt. Sie sind es, auf die es im vorigen Absatz „nicht ankam“.

Also zurück zu den ganzen Zahlen: Die beiden Zerlegungen der 15 oben sind in Wirklichkeit dieselbe, weil sie sich nur in der Verteilung der Minus-Einsen unterscheiden, und diese Übeltäter haben ja multiplikative Inverse. So kann man die Eindeutigkeit der Primzahlzerlegung retten.

Jetzt wissen wir, worauf es ankommt, wenn wir „unzerlegbar“ und „prim“ so definieren wollen, dass es nicht nur für die natürlichen Zahlen, sondern mindestens auch für die ganzen Zahlen, aber vielleicht auch noch für anderes passt. Auf gehts:

Man hat eine Menge und darauf eine assoziative und kommutative Operation „·“ (Multiplikation) und eine Eins, d.h. ein neutrales Element für die Multiplikation. Außerdem soll man kürzen können, d.h. aus a·c = b·c folgt a = b. Die Null lassen wir also weg. Dividieren braucht man nicht zu können. Dann teilen wir die Elemente in drei Klassen ein:

Unabhängig davon definieren wir

Sowas wie Eindeutigkeit der Primzahlzerlegung (wenn sie überhaupt in der betreffenden Struktur gilt), heißt dann nur Eindeutigkeit bis auf Multiplikation mit Einheiten.

Man darf nun nicht meinen, alles was bei den natürlichen Zahlen gilt, gilt automatisch auch unter dieser allgemeineren Definition. Vielleicht lässt sich nicht jede Zahl in Primfaktoren oder unzerlegbare Faktoren zerlegen. Vielleicht lässt sich jede Zahl in unzerlegbare Faktoren zerlegen, aber nicht unbedingt eindeutig. Vielleicht gibt es zerlegbare Primzahlen oder unzerlegbare Zahlen, die nicht prim sind, wer weiß? Nicht alles das kann passieren, aber doch einiges, was es bei den ganzen Zahlen nicht gibt. Das könnt ihr euch ja selbst überlegen. Dazu ein paar Beispiele, wobei jeweils die herkömmliche Multiplikation als Verknüpfung dient, wenn nichts anderes ausdrücklich dasteht:

  1. die Menge der natürlichen Zahlen ohne 0

  2. die Menge der natürlichen Zahlen mit 0 mit der Addition
    (Wo steht denn, dass die Verknüpfung im Volksmund „Multiplikation“ heißen muss, solange sie assoziativ und kommutativ ist und Kürzung zulässt?)

  3. die Menge der Folgen natürlicher Zahlen mit 0 mit der gliedweisen Addition

  4. die Menge der endlich langen Dezimalzahlen ungleich 0
    (Hier ist die 2 nicht durch 7 teilbar, aber die 3 durch die 5. Letzteres ist kein Wunder, weil alle Zahlen durch 5 teilbar sind: die 5 ist eine Einheit und die 0.008 auch.)

  5. die Menge der natürlichen Zahlen, die bei Division durch 3 den Rest 1 lassen (also 1, 4, 7, ...) mit der Multiplikation

  6. die Menge der Zahlen der Gestalt a+bw, wobei a und b ganze Zahlen sind und w die Wurzel aus 2

  7. die Menge der Zahlen der Gestalt a+bw, wobei a und b ganze Zahlen sind und w die Wurzel aus 5

Überlegt euch für jedes der Beispiele die Antwort auf folgende Fragen:

Für die letzten beiden Beispiele sind die Antworten nicht ganz leicht. Es gibt da einen Trick. Man überlegt sich, dass a+bw genau dann eine Einheit ist, wenn a²-b²w² = ±1 und dass die durch Funktion N(a+bw) = a²-b²w² gegebene Abbildung der Menge in die ganzen Zahlen ab die Eigenschaft N(x·y) = N(x)N(y) hat. Man kann dann daraus einige Schlüsse ziehen, welche Elemente der Menge sicher unzerlegbar sind und kommt damit ein Stück weiter.

So, und jetzt zurück zur Ausgangsfrage, die ich jetzt so formuliere: warum nennt man die Einheiten nicht auch „prim“? Das dürfte jetzt eigentlich klar sein, oder?